Gefahr am Abra de Cumbre Pass Bolivien Cerro Saturno

Gefahr am Abra de Cumbre

Ein Reisebericht aus Südamerika - Bolivien. Von Thomas Wilken.

Noch eine weitere Eingehtour will ich unternehmen, bevor ich mich an die Königin der Anden wage, allerdings probiere ich, immer noch die negativen Erfahrungen am Chachani im Kopf, Soroche Pills zur Unterstützung. So ausgerüstet fahre ich am nächsten Tag von Villa Fatima aus, mit dem schon bekannten Busunternehmen in Richtung Coroico, diesmal ohne Komplikationen, und lasse mich auf der Passhöhe direkt am See aussetzen. Dank der Tablette oder warum auch immer fühle ich mich wieder fit in 4700 Metern Höhe, was auch den ganzen Tag anhalten sollte. Auf breiten Wegen steige ich erst mal dem bekannten Treck nach Coroico entgegen, bis ich den ersten See passiert hatte. Dort kommen mir die ersten Wanderer entgegen, noch mehr Leute sind zu sehen, aber in der anderen Richtung sah ich eine durchaus interessante Gipfelgestalt und beschloss mir diese vorzunehmen, weg vom stärker begangenen Weg. Die vorher dichte Wolkendecke riss mehr und mehr auf, sodass der Blick bis zum Chacaltaya mit seiner Eiszierde reichte.

Auch ihn kann man von hier aus erreichen, dazu gibt es weitere lohnende Tourenziele, wie auch mein Berg, wohl knapp 5000 Meter hoch. Nur die letzten Meter vor dem Gipfel waren leichte Kletterstellen zu überwinden, ansonsten käme man wohl auch mit dem Allradfahrzeug hinauf, oder dem Motorrad, womit wir beim Thema wären. Die Gegend hier galt laut meinem Reiseführer nicht als besonders sicher, schnell wird man paranoid bei solchen Warnungen, so auch ich. Zuerst mache ich mir keine großen Gedanken als ich erste Motorradgeräusche hörte, dann aber kommen sie immer näher und eines nimmt sogar den Weg diesen Berg hinauf. Nun wird mir mulmig, scheiße denen kann ich hier sicher nicht entkommen. Trotzdem klettere ich ein Stück ab, in die dem Weg abgewandte Felswand und drücke mich zwischen die Felsen, sicher ist sicher. Ich sehe und höre keine weiteren Geräusche von oben, aber zwei andere Motorräder lagern am nahe gelegenen See, mit Blick auf meine Bergseite. Ist das jetzt die neue Art Wanderer auszurauben, mit dem Motorrad, oder bilde ich mir alles nur ein. Wenn sie mich wirklich suchen, müssen sie wissen wo ich bin, es gibt ja nur diese eine Möglichkeit und sie könnten leicht passend fahren um mich sehen zu können. Aber weder dieses passiert, noch steigt der obere Motorradfahrer zu mir in die Wand hinab, komisch ich wäre doch ein einfaches Opfer. Noch einige Zeit verharre ich so in die Wand gedrückt, aber nichts passiert. Irgendwann beschließe ich dann langsam und möglichst außerhalb des Sichtfeldes den Berg zu umrunden, aber auch da müsste ich den Fahrweg überqueren und käme zwangsläufig in das Sichtfeld des ersten Fahrers. Keine Verstecke gibt es hier, weitherum nur ebene Fläche und ein harmloser Berg liegen zwischen mir und der rettenden Straße. Doch es ziehen wieder neue Wolken auf um mich zu verbergen, also bewege ich mich auf den flachen Berg zu. Nun habe ich ein anderes Problem, die Orientierung. Aber ich halte einfach die Richtung zum Gipfelplateau ein und nehme dann die Wandseite, welche zum Pass zurückführen muss, als Abstieg. Weiter unten wird der Nebel wieder lichter und ich kann den See über der Passhöhe sehen auf den ich mich dann auch zu bewege, schon wieder deutlich beruhigt. Während ich den See umrunde mache ich mir so meine Gedanken. Habe ich mir alles nur eingebildet, waren die Männer einfach auf einer Motorradtour und einer ist aus Lust und Laune heraus ein Stück den Berg hochgefahren ? Das würde erklären, warum kein wirklicher Versuch gemacht wurde mich zu erreichen. Oder haben sie einfach aufgrund meiner recht aussichtslosen Lage abgewartet, sicher mich in jedem Fall zu erwischen, bevor der Nebel dann als mein unerwarteter Retter aufgetreten ist ? Aber warum waren hier keine aktuellen Übergriffe bekannt und wurde kein anderer Wanderer angegriffen ? Dieses Rätsel werde ich wohl nie mehr lösen. Einen letzten Versuch unternehme ich noch in der Holzhütte am Seeufer, dort befinden sich die Nationalparkwärter, wie ich erfahren soll, welche sich sehr für meine Tour interessieren. Aber auf die Frage nach Gefahren antworten sie alles sei sicher, deshalb seien sie ja schließlich da. Klingt eigentlich plausibel, würde ich aber wohl auch sagen an ihrer Stelle.

Wohl doch mehr Paranoia als alles andere, ich weiß es nicht, habe jetzt auch andere Probleme. Es beginnt nicht unerheblich zu regnen und das Trampen zurück nach La Paz gestaltet sich unerwartet schwierig. Regelmäßige Busse sind nicht zu erwarten in absehbarer Zeit. Auch ein paar Einheimische warten mit mir, doch auch für sie hält weder einer der durchweg vollen Busse, noch ein Auto. Irgendwann kommt ein Taxi vorbei und einer der Bolivianer zeigt auf das Taxi und sagt Gringo. Diese Bezeichnung mag ich als Antiamerikaner sowieso nicht, und auch wenn ein Europäer gemeint ist schwingt immer etwas Diskriminierendes mit. Halten tut im Endeffekt dann ein Lastwagen mit großer aber sehr hoher Ladefläche. Nur ich und ein junges Pärchen schaffen es hinaufzukommen, die anderen werden einfach zurückgelassen, bei einem stört mich das aber weniger. Es ist ein tolles Gefühl auf der Ladefläche über holprige Andenstraßen zu fahren. Zwei Dinge erschrecken mich trotzdem auf dieser aussichtsreichen Fahrt, erst mal der viele Müll, der um den See verstreut liegt, ein weit verbreitetes Problem in Südamerika, und die extrem steilen Felder der Indigenas an den die Straße flankierenden Bergflanken. Ersteres ist in erster Linie ein Mentalitätsproblem. Hat man Müll im Auto wird einfach das Fenster geöffnet und der Müll hinausgeworfen, traurig aber schwer zu ändern. Trotz der absolut mühsamen Arbeit sind die Indigena immer freundlich und nett, vor allem die Kinder winken, und rufen mir lauthals zu. Übrigens hat diese erlebnisreiche Fahrt ohne vorherige Nachfrage nur 3 Bolivianos gekostet, von Abziehermentalität also keine Spur.