Bolivien Der Titicacasee Tiefblick vom Cerro Calvario

Der Titicacasee

Ein Reisebericht aus Südamerika - Titicacasee. Von Thomas Wilken.

Wieder in Puno zurück begebe ich mich am nächsten Tag in Richtung Hafen um mir eine Bootsfahrt auf dem See zu organisieren, als Ziel habe ich die Urus, die sog. schwimmenden Inseln ausgemacht. Anbieter gibt es genug und somit brauche ich nicht allzu lange zu warten. Viel Schilf lagert an Rand des Sees, strahlend blau glänzt seine Oberfläche in der Sonne. Das andere Seeufer ist von hier aus nicht zu sehen, eine meerähnliche Weite breitet sich vor mir aus. Dazu passt ein strammer Wind, welcher die Seeoberfläche bewegt, die Wärme der ja vorhandenen Sonne breitet sich ebenfalls recht langsam aus.

Der Titicacasee ist mit seinen 3800 Metern Höhe der höchste schiffbare See der Welt und gehört zu etwa zwei Dritteln Peru und zu einem zu Bolivien. Mit einer Fläche von 8562 qkm ist er fast 13 Mal größer als der Bodensee. Er liegt vollständig auf der Hochebene des Altiplano und ist weder mit dem Atlantischen, noch mit dem Pazifischen Ozean direkt verbunden. Die Engstelle Estrecho de Tiquina teilt den 304 Meter tiefen See in den größeren Chucuitosee ( 25 Inseln) und den sechsmal kleineren Winaymarkasee mit sechs Inseln. 195 km lang und 65 km breit ist der See, mit einer Temperatur von 10 bis 12 Grad zwar recht kühl, trotzdem aber als Wärmespeicher der umliegenden Äcker durch seine Größe unverzichtbar. So gedeihen um ihn herum Erbsen, Quinoa, Mais, Gerste und Kartoffeln, wobei der Titicacasee als Ursprung des Kartoffelanbaus gilt. Zudem ist der See für seinen Fischreichtum bekannt. Suche, Carachu, Ispi, Mauri und Boga kommen hier vor, seit 1937 wurden auch Forellen und Lachse hier eingesetzt, welche sich hervorragend entwickelten und heute die Nahrungsgrundlage für die zahlreichen Fischer der Region bilden.  Enten, Ibise, Reiher und Kormorane sind hier ebenfalls heimisch und um den See herum leben von Meerschweinchen über Chinchillas, Pumas, Lamas, Vikunas, Alpacas und Guanakos alle bekannten Tierarten der Andenregion. 1986 zeigte sich, das der See die Hochlandbewohner nicht nur ernährt, sondern ihnen auch gefährlich werden kann. Durch die heftigsten Regenfälle seit Menschengedenken trat der See über die Ufer und überschwemmte zahlreiche Dörfer und Strassen.

Zahlreiche Legenden ranken sich ebenfalls um den viel beschriebenen Titicacsee.

Zum Beispiel soll einst der Gott Con Ticci Wiracocha aus dem Titicacasee gestiegen sein und die Sonne erschaffen haben. Dazu dann in Tiwanaku die Weilt und die Menschen. Tiwanaku (100v.Chr.- 1200n.Chr.) ist nach wie vor eine der geheimnisvollsten Kulturen Südamerikas. Die ehemalige Hauptstadt Tiwanakus liegt ca. 20 km im Landesinneren Boliviens, auch die Sonnen- und die Mondinsel gehörten früher zum Reich. Möglicherweise lag Tiwanaku vormals direkt am Seeufer, da der See früher größer war.

Der Sage der Inkas nach setzte der Schöpfergott Wiracocha seine Kinder auf einer Insel im Titicacasee aus, gab ihnen einen Stab aus Gold und trug ihnen auf diesen in den Boden zu stoßen, wann immer sie Rast machten. Wenn er darin stecken bleibt sollten sie sich dort niederlassen und die Völker mit Liebe, Duldsamkeit, Vernunft, Gerechtigkeit und Milde regieren. Dies geschah in der Gegend des heutigen Cusco, wo sie das Inkaimperium gründeten.

Angeblich haben nach der Eroberung des Inkareiches durch die Spanier Tempelwächter  der Sonneninsel den nie gefundenen Schatz im Titicacasee versenkt, wo er auch immer wieder erfolglos gesucht wurde.

Als die Inka das Gebiet im 13. Jahrhundert eroberten erhoben sie die damalige Insel Titicaca zur Sonneninsel, ohne aber die Bräuche und Sprache der dort ansässigen Aymara auszulöschen. Nur die Adelskaste durfte diesen heiligen Ort betreten. In einem höhlenartigen und völlig mit Gold ausgekleideten Labyrinth wurden höchste Riten durch den Inka selbst vollzogen um dem Sonnengott Inti (lösste Wiracocha ab) zu huldigen.

Titicaca ist aus zwei Aymara Wörtern zusammengesetzt, Titi bedeutet Puma und Caca Fels, also Pumafelsen.

Urus – Zoo auf dem höchsten „Meer" der Welt

Die Urus

Das Volk der Uru oder auch Uro ist seit 1958 ausgestorben, trotzdem versuchen ihre Nachfahren zumindest einen Teil der Urukultur zu erhalten.

Sie nannten sich früher Kot-Suns, „Seemenschen“, und galten als das wildeste Volk im Inkareich mit einer sehr dunklen Hautfarbe. Da die Urus sich bei Auseinadersetzungen immer auf ihre Schilfinseln im Titicacasee zurückzogen, konnten sie von den Inkas nie unterworfen werden. Im 19. Jahrhundert lebten noch etwa 4000 Familien auf den Schilfinseln.

Heute bewohnen noch ca. 1500 bis 2000 Menschen die Schilfinseln. Sie sind als Mestizen durchweg Nachfahren der Aymara und Quetchua und leben fast ausschließlich vom Tourismus. Ihr Lebensraum befindet sich in der großen Bucht zwischen Puno und der Halbinsel Capachica, denn hier breitet sich ein großer Tortora-Schilfgürtel aus, welcher die Inseln Torani Pata, Wuaca Wuacani, Llachu Punchu, Ccapi Coa Muru, Maccano, Titini und Tinajero einschließt. Ungefähr 80 Inseln umfasst das Gebiet mit annähernd hundert Familien, sogar eine Schulinsel ist darunter.

Als 1986 der Titicacasee über die Ufer trat waren auch einige der Urus davon betroffen, sodass viele Inselbewohner auf das Festland nach Chulluni übersiedeln mussten. Nun fahren sie jeden Morgen auf ihre Inseln. Zu diesem Zweck wurden auch noch weitere, näher an Puno gelegene Inseln fertig gestellt, namentlich Paraiso, Uro Chiquitos, Tribuna, Collana, Tronai und Blasero. Dort leben 146 Familien und es gibt mittlerweile dort eine Schule, ein Gemeindehaus und einen Telefondienst, der über Solarzellen betrieben wird. Verkaufsstände mit Getränken und mehr oder weniger einheimischem Kunsthandwerk wurden extra für die Touristen eingerichtet, sogar mehrere kleine Aussichtstürme gebaut.

Die Hälfte aller Familien hat sich mittlerweile auf dem Festland in Chulluni niedergelassen und die ca. 2000 Menschen umfassende Uro-Chulluni Gemeinschaft gegründet. Die andere Hälfte pendelt zwischen den Inseln und dem Festland, die meisten der Boote im Hafen von Puno gehören diesen Familiengemeinschaften. Holz-Kunststoff- und Motorboote haben heute die ursprünglichen Totoraboote verdrängt. Diese Balsaboote wurden früher zum Fischfang benutzt, haben heutzutage aber nur noch touristische Bedeutung, zum Beispiel als Postkartenmotiv. Fische wurden übrigens mit Netzen gefangen, Vögel mit Steinschleudern gejagt. Neben dem Fisch- und Vogelfang dienten die Schilfstengel der Totora den Uru früher als Nahrungsmittel. So konnten sie ohne Ackerbau überleben, blieben somit weitestgehend autark und waren nicht unbedingt genötigt das Festland zu betreten.

Die Schilfrohrbündel der Inseln müssen alle sechs Monate ausgebessert werden, eine notwendige Maßnahme, welche die jüngere Generation leider allzu gerne vernachlässigt, weshalb regelmäßig auch größere Schilfinseln im See versinken. Allgemein ist das Interesse der jüngeren Generation an ihren Inseln und den alten Traditionen generell stark im Schwinden, sie ziehen ein „moderneres“ Leben in der Stadt vor. Trotzdem gibt es immer noch Familien welche ihre schwimmenden Inseln intakt halten und Binsenboote bauen.