Der Alpensteinbock (Capra ibex) ist eine beeindruckende Tierart, die in den Alpen beheimatet ist. Mit seinen kräftigen Hörnern und seiner bemerkenswerten Kletterfähigkeit ist der Alpensteinbock ein Symbol für die alpine Wildnis. Doch seine Geschichte ist nicht nur eine der Anpassung und des Überlebens in rauen Gebirgslandschaften, sondern auch eine von beinahe vollständiger Ausrottung und erfolgreicher Wiederansiedlung.
Verhalten und Lebensweise
Der Alpensteinbock ist bekannt für sein anpassungsfähiges Verhalten und seine hervorragende Kletterkunst. Diese Tiere leben bevorzugt in steilen, felsigen Gebieten, wo sie sich vor Raubtieren schützen können. Ihr kräftiger Körperbau und ihre speziellen Hufe, die mit weichen Ballen ausgestattet sind, ermöglichen ihnen, sich sicher auf schmalen Felsvorsprüngen zu bewegen.
Soziales Verhalten: Alpensteinböcke leben in geschlechtsspezifischen Herden. Weibchen und Jungtiere bilden Gruppen, die sogenannten Mutterfamilien, während die Männchen oft in kleinen Gruppen zusammenleben, die sogenannten Bockgruppen. Während der Brunftzeit, die von Dezember bis Januar dauert, lösen sich die Bockgruppen auf, und die Männchen schließen sich den Weibchengruppen an, um zu paaren.
Jahresrhythmus: Der Lebenszyklus des Alpensteinbocks ist stark saisonabhängig. Im Frühling und Sommer, wenn das Nahrungsangebot reichlich ist, fressen sie hauptsächlich Gräser, Kräuter und Blätter. In dieser Zeit legen sie Fettreserven für den Winter an. Im Herbst ziehen sie in tiefere Lagen, um sich auf den Winter vorzubereiten. Im Winter, wenn das Nahrungsangebot knapp ist, bewegen sie sich in den lichteren Wald, wo sie von Ästen und Baumrinde leben. Während dieser Zeit können sie mehrere Wochen ohne feste Nahrung auskommen, indem sie ihre Fettreserven nutzen.
Geschichte der Fast-Ausrottung und Wiederansiedlung
Der Alpensteinbock war einst weit in den Alpen verbreitet. Doch im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde er durch intensive Bejagung fast vollständig ausgerottet. Das Fleisch und die Hörner des Steinbocks wurden geschätzt, und seinen Organen wurden heilende Kräfte zugeschrieben, was zu seiner rücksichtslosen Verfolgung führte.
Fast-Ausrottung: Um das Jahr 1800 herum war der Alpensteinbock in den meisten Teilen der Alpen verschwunden. Die letzte wild lebende Population überlebte im Gran Paradiso-Massiv in den italienischen Alpen, wo sie von König Viktor Emanuel II. unter Schutz gestellt wurde. Dieser Schutz war jedoch zu spät gekommen, um die Populationen in anderen Teilen der Alpen zu retten.
Wiederansiedlung: Die Wiederansiedlung des Alpensteinbocks begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ab 1911 wurden Steinböcke aus dem Gran Paradiso-Nationalpark in die Schweiz gebracht, und im Laufe der Jahre folgten weitere Auswilderungen in verschiedenen Teilen der Alpen, darunter Österreich, Deutschland und Frankreich. Diese Programme waren äußerst erfolgreich, und die Steinbockpopulationen erholten sich langsam. Die heutigen Bestände stammen fast ausschließlich von den Nachkommen dieser wenigen überlebenden Tiere.
Bestand und Verteilung in den Alpen
Heute schätzt man den Bestand des Alpensteinbocks in den Alpen auf etwa 50.000 bis 55.000 Tiere. Die Verteilung der Populationen ist stark vom Lebensraum und den Schutzmaßnahmen in den verschiedenen Alpenländern abhängig.
Schweiz: Die Schweiz hat heute die größte Population an Alpensteinböcken, mit etwa 15.000 bis 18.000 Tieren. Der Kanton Graubünden, insbesondere der Nationalpark, ist ein wichtiger Lebensraum für diese Tiere.
Italien: In Italien lebt eine bedeutende Population im Gran Paradiso-Nationalpark, wo der Steinbock ursprünglich gerettet wurde. Heute gibt es in Italien rund 13.000 Tiere.
Österreich: In Österreich gibt es ungefähr 7.000 Alpensteinböcke. Diese Populationen sind über die verschiedenen Bundesländer verteilt, wobei die größten Gruppen in Tirol und Vorarlberg leben.
Frankreich: In Frankreich leben etwa 10.000 bis 12.000 Alpensteinböcke, hauptsächlich in den französischen Alpen. Die Populationen sind gut verteilt und profitieren von den großen Schutzgebieten wie dem Vanoise-Nationalpark.
Deutschland: In Deutschland lebt eine kleinere Population von etwa 300 bis 400 Tieren, hauptsächlich in den Bayerischen Alpen.
Slowenien: In Slowenien gibt es eine kleine, aber stabile Population von Alpensteinböcken, die auf etwa 200 bis 300 Tiere geschätzt wird.
In den Pyrenäen hingegen konnte die Ausrottung nicht verhindert werden und etwaige Wiederansiedlungsversuche sind gescheitert. Nur in der Sierra Nevada im Süden Spaniens gibt es noch eine stabile Population des Pyrenäen Steinbocks.
Herausforderungen und Schutzmaßnahmen
Obwohl die Wiederansiedlung des Alpensteinbocks eine Erfolgsgeschichte ist, steht diese Tierart auch heute noch vor Herausforderungen. Klimawandel, menschliche Aktivitäten und Krankheiten wie die Gamsblindheit (eine bakterielle Augeninfektion) stellen eine Bedrohung für die Steinbockpopulationen dar.
Schutzmaßnahmen: Die Alpenländer haben verschiedene Schutzmaßnahmen ergriffen, um die Steinbockpopulationen zu sichern. Dazu gehören strenge Jagdbeschränkungen, die Schaffung von Schutzgebieten und Programme zur Überwachung und Pflege der Bestände. Forschungsprogramme untersuchen zudem die genetische Vielfalt der Populationen, um eine Inzucht zu vermeiden und die langfristige Gesundheit der Steinböcke zu sichern.
Der Alpensteinbock ist ein faszinierendes Beispiel für die Widerstandsfähigkeit der Natur und die erfolgreichen Bemühungen des Naturschutzes. Von der Fast-Ausrottung im 19. Jahrhundert bis zu seiner Wiederansiedlung und dem Schutz im 20. und 21. Jahrhundert zeigt die Geschichte des Alpensteinbocks, wie wichtig Schutzmaßnahmen und internationale Zusammenarbeit für den Erhalt von Tierarten sind. Heute können Wanderer und Naturfreunde in vielen Teilen der Alpen diese majestätischen Tiere wieder in freier Wildbahn erleben und die Erfolge des Naturschutzes hautnah bestaunen.
Auf unseren Wanderwochen in Graubünden - vor allem in Arosa und im Unterengadin - ist die Chance, die mächtigen Huftiere zu Gesicht zu bekommen, durchaus gegeben.